Einführung von neuen Aufsichtsratsmitgliedern: was ist zu beobachten

April 17, 2024

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Es gibt nämlich keinen allgemein anerkannten Standard für die Informationspflicht und die Gestaltung eines Onboarding-Prozesses für neue Aufsichtsratsmitglieder. Jedoch besteht von verschiedenen Seiten die Erwartungshaltung, dass neue Mitglieder idealerweise schon mit Amtsantritt vollwertigen Mehrwehrt im Plenum und den Ausschüssen liefern. Kandidatinnen und Kandidaten sollten daher schon von ihrer Bestellung und Wahl durch die Hauptversammlung fachlich und persönlich geeignet sein und sich sehr zügig in die Besonderheiten und Gegebenheiten des neunen Mandatsunternehmens einarbeiten. Andersfalls können schnell Haftungs- und Reputationsrisiken entstehen. Das gilt für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer- und der Anteilseignerseite in gleicher Weise.

💡 3 Schlüsselpunkte

  1. Beobachtungen aus der Unternehmenspraxis

Gerade bei großen Unternehmen, die weltweit agieren und auch noch häufig sehr komplex aufgestellt sind, ist es für neue Aufsichtsratsmitglieder oft sehr schwierig, zügig auf den Erfahrungs- und Wissensstand der Mitglieder zu kommen, die schon sehr viel länger dem Gremium angehören. Diese haben oft einen jahrelangen Vorsprung aus den bisherigen Sitzungen und kennen nicht nur die Sitzungsunterlagen, sondern die diesbezüglichen Diskussionen mit dem Vorstand sehr gut.

Deswegen ist es für die effektive Aufgabenwahrnehmung von Nachteil, nicht bereits seit eigener Zeit dem Gremium angehört zu haben. So haben neue Aufsichtsratsmitglieder in der Vergangenheit immer wieder berichtet, dass sie einige Zeit benötigt hätten, das Unternehmen und die diesbezüglichen spezifischen Besonderheiten zu verstehen, um ihrer Überwachungstätigkeit gegenüber dem Vorstand angemessen nachkommen und diesen insbesondere in Bezug auf die Strategie konstruktiv beraten zu können.

Weiterhin ist zu beobachten, dass neuen Mitgliedern unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Aufsichtsratstätigkeit kein Zugang zu sensiblen Dokumenten und Sitzungsprotokollen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse gewährt wird, die vor ihrem Eintritt in den Aufsichtsrat erstellt wurden. Sehr oft fehlt neu in den Aufsichtsrat gewählten Mitgliedern neben dem Aufsichtsratsvorsitzenden zudem en direkter Ansprechpartner im Unternehmen, der nicht nur auf die wichtigsten Unterlagen verweisen könnte, sondern diese auch erläutern und zur Verfügung stellen kann.

Wichtigstes Ziel eines strukturierten Onboarding-Programms ist es insbesondere, ein angemessenes und schnelles Verständnis der Geschäftsstrategie, der Funktionsweise der Geschäftsmodells und der Unternehmensstruktur zu entwickeln.

Eine gezielte Einarbeitung in die unternehmensspezifischen Themen und Strukturen ist für alle neuen Aufsichtsratsmitglieder, wenn sie nicht schon vorher in anderer Eigenschaft wie z.B. als Vorstandsmitglieder an den Sitzungen teilgenommen haben, wichtig. Dies gilt in besonderem Maße, wenn Kandidaten erstmals eine Aufgabe im Aufsichtsrat übernehmen, nicht auf eigene Erfahrungen aus anderen Aufsichtsratsmandaten zurückgreifen können oder aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Aufsichtsratstätigkeit aus einem anderen Governance-System kommen. Gerade für Letztere ist es wichtig, die Besonderheiten des deutschen zweistufigen Board-Systems und der deutschen Mitbestimmung zu verstehen und auf wesentliche Unterschiede und Verantwortlichkeiten aufmerksam gemacht zu werden.

2. Gesetzliche und regulatorische Vorgaben für Einführungen

Für Unternehmen außerhalb des Finanzsektors gibt es keine gesetzliche Regelung, die eine möglichst rasche und den unternehmensspezifischen Erfordernissen entsprechende Einsetzung neu gewählter Aufsichtsratsmitglieder vorsieht. Im Aktiengesetz findet sich bisher keine diesbezügliche Regelung. Dies überlässt es vielmehr den Gesellschaften, hier tätig zu werden. Für Banken, Finanzholding-Gesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften hat der Gesetzgeber aufgrund einer europäischen KWG aufgenommen.

Nach § 25d Abs. 4 KWG müssen diese Gesellschaften angemessene personelle und finanzielle Ressourcen einsetzen, um den Mitgliedern des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans die Einführung in ihr Amt zu erleichtern, damit diese die Struktur, das Geschäftsmodell, das Risikoprofil und die Governance-Regelungen des Instituts sowie die Rolle des Mitglieds/der Mitglieder darin eindeutig verstehen.

Ebenso sind nach dem KWG auch Fortbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, die dem Mitglied die für die Kontrolltätigkeit erforderlichen Mindestkenntnisse erst verschaffen sollen. Alle neu ernannten Mitglieder des Aufsichtsrats sollen spätestens einen Monat nach Antritt ihrer Position wichtige Informationen erhalten und die Einführung sollte innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein.

3. Empfehlung im Deutschen Corporate Governance Kodex

Seit dem Jahr 2020, nach Durchführung einer öffentlichen Konsultation, empfiehlt auch der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) aufgrund der gemachten Erfahrungen in der Praxis, dass die Gesellschaft die Mitglieder des Aufsichtsrats bei ihrer Amtseinführung angemessen unterstützen soll.

💡 Wie läuft den Onboarding-Prozess?

  1. Individueller Bedarf und Zeitplan

Der Schwerpunkt der Einführungen für neue Aufsichtsratsmitglieder liegt in erster Linie bei unternehmensspezifischen Themen und weniger bei Themen, die auch im Rahmen der generellen Fort- und Weiterbildung für die Aufsichtsratsmitglieder erfolgen könnten. Letztere können auch von externen Personen ohne unternehmensspezifische Kenntnisse durchgeführt werden.

Schon sehr frühzeitig, am besten noch vor der Wahl durch die Hauptversammlung, sollte in Abstimmung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstand ein für das Onboarding zuständiger Mitarbeiter des Unternehmens auf die vom Aufsichtsrat vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten zugehen und mit ihnen den genauen Bedarf besprechen und festlegen sowie einen entsprechenden Zeitplan erarbeiten.

Im Idealfall kann eine Einführung dann auch schon vor dem Eintritt in den Aufsichtsrat beginnen. In diesem Fall ist allerdings sicherzustellen, dass die Vertraulichkeitsanforderungen beachtet werden. Da ein Kandidat bzw. eine Kandidatin zu diesem Zeitpunkt nicht der gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung aus §§ 116, 93 AktG unterliegt, ist es sinnvoll, dies in einer individuellen Vertraulichkeitsvereinbarung schriftlich festzuhalten.

Der Umfang des Einführungsprogramms folgt dem Proportionalitätsprinzip. So steigen in Abhängigkeit von Art, Umfang und Komplexität der betriebenen Geschäfte und der damit erforderlichen Sachkunde auch die Anforderungen an die Einführung. Wenn das neue Aufsichtsratsmitglied zeitnah in einen Ausschuss gewählt werden soll, verlängert sich das Einführungsprogramm ebenfalls. Bisher dauerten derartige Programme bei börsennotierten Unternehmen durchschnittlich häufig zwischen zwei und vier Tagen, teilweise aber auch deutlich länger; kurzer waren diese im Durchschnitt bisher bei nicht börsennotierten Unternehmen.

2. Bereitstellung von Unterlagen

Zunächst ist es wichtig, die neuen Mitglieder mit den wichtigsten Aufsichtsratsunterlagen und Protokollen der bisherigen Sitzungen zu versorgen. Neben den Unterlagen aus den Aufsichtsratssitzungen kommen auch ausgewählte Ausschussunterlagen infrage. Als Richtschnur hat sich etabliert, dass diese den Zeitraum der letzten zwölf Monate abdecken, sodass das neue Mitglied alle im Jahresturnus wiederkehrenden Themen wenigstens einmal sichten konnte. Entscheidend ist aber auch, welche Beschlüsse der Vergangenheit noch nicht vollständig abgearbeitet sind bzw. noch größere Auswirkungen auf die Gegenwart und Zukunft des Unternehmens haben. Für diese Themen sollte der Zeitraum dann auch länger in die Vergangenheit zurückdatieren.

Darüber hinaus sollten die neuen Mitglieder den aktuellen Geschäftsbericht, den letzten Prüfungsbericht des Wirtschaftsprüfers mit allen Anlagen und eine Einführungsmappe mit den wichtigsten Statuten wie Satzung, Geschäftsordnungen von Aufsichtsrat und Vorstand nebst Geschäftsverteilungsplan erhalten. Hilfreich ist es auch, die Kontaktdaten aller Vorstands und Aufsichtsratsmitglieder zügig zu bekommen.

3. Zugang zum Datenraum des Aufsichtsrats

Für die Bereitstellung der Unterlagen bietet sich ein internetbasierter Datenraum an, damit die Mitglieder für die Sichtung der einführenden Unterlagen nicht extra anreisen müssen. Wenn der Datenraum des Aufsichtsrats so aufgebaut ist, dass nicht nur die aktuellen Sitzungsunterlagen für die nächste Sitzung verfügbar sind, sondern dieser auch als unternehmensinternes Archiv für alle Mitglieder des Aufsichtsrats genutzt wird, können auch die neuen Mitglieder direkt einen Zugang bekommen und nach einer kurzen Erläuterung der Struktur und des Aufbaus des Datenraums sich selbstständig alle wichtigen Unterlagen erarbeiten.

4. Individuelle Einführungsgespräche

Neben den Unterlagen sind individuelle Gespräche mit den Vertretern der Kernfunktionen im Unternehmen wichtig. In einem ersten Schritt sollte ein neues Mitglied nicht nur den Vorsitzenden des Vorstands, sondern alle Vorstandsmitglieder einzeln treffen. Neben dem Fokus auf das persönliche Kennenlernen wird sich häufig schon das erste Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden um das Verständnis für das Geschäftsmodell und die Erläuterung der Unternehmensstrategie drehen.

Ein weiterer wichtiger Agendapunkt dieses Gesprächs ist häufig auch eine erste Einführung in die Besonderheiten der Unternehmenskultur der Gesellschaft.

Die weiteren Gespräche mit den übrigen Vorstandsmitgliedern behandeln meist das jeweils verantwortete Vorstandsressort und dabei sind insbesondere aktuelle Themen für den neuen Aufsichtsrat von Relevanz, die die übrigen Aufsichtsratsmitglieder schon aus den verschiedenen Sitzungen kennen. Nicht selten kommt es auch vor, dass ein Folgetermin vereinbart wird, zu dem das Vorstandsmitglied dann auch wichtige Führungskräfte mitbringt, um die erörterten Themen weiter zu vertiefen und seine Führungsmannschaft vorzustellen. Mögliche weitere Gesprächspartner sollen dann die Vorstandsmitglieder je nach Bedarf nennen, wobei derartige Treffen häufig auch erst später erfolgen.

Auch wichtige Schlüsselfunktionen im Unternehmen wie die Leiter der Internen Revision, der Compliance- und der Rechtsabteilung sowie die führenden Vertreter des Abschlussprüfers sollten persönlich gesprochen werden. Auch sollte bereits im Rahmen der Einführung ein Vertreter des Unternehmens für ein Gespräch zur D&O-Versicherung und der Frage, ob die Gesellschaft einen Selbstbehalt für ihre Aufsichtsratsmitglieder vereinbart hat, zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus werden auch immer Gespräche mit weiteren Aufsichtsratsmitgliedern ein wichtiger Teil des Einführungsprogramms sein, um aus erster Hand einen ersten Eindruck zum Meinungsstand innerhalb des Aufsichtsrats in Bezug auf aktuell erörterte Themen zu erhalten. Gespräche sollten außer mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden insbesondere auch mit den Ausschussvorsitzenden, dem stellv. Aufsichtsratsvorsitzenden und Vertretern der Arbeitnehmer- und der Anteilseignerseite geführt werden.

5. Teilnahme als Gast an Ausschusssitzungen

Eine weitere Möglichkeit, sich als Teil der Einführung zeitnah über die Arbeit des Aufsichtsrats zu informieren, ist die Teilnahme als Gast an den Sitzungen der Ausschüsse des Aufsichtsrats. Da die Ausschüsse in erster Linie die Aufgabe haben, wichtige Themen des Aufsichtsrats intensiv für das Plenum vorzuarbeiten, besteht hier eine weitere Möglichkeit, sich inhaltlich einzuarbeiten und auszutauschen. So kann das neue Mitglied zügig einen guten Eindruck von den unternehmensspezifischen Interaktionen zwischen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern in verschiedenen Situationen erhalten.

Fazit

Die Professionalisierung des Aufsichtsrats schreitet weiter voran. Aufsichtsratsmitglieder werden immer mehr gefordert, sowohl in Bezug auf die fachlichen wie auch die zeitlichen Anforderungen. Systematische Einführungen erleichtern den schnellen Einstieg. Hierfür ist ein auf das neue Mitglied zugeschnittenes Programm notwendig. Die Einführung sollte sehr frühzeitig beginnen und in einem überschaubaren Zeitrahmen durchgeführt werden. Ein fester Ansprechpartner mit entsprechender Fachexpertise und Nähe zum Aufsichtsrat ist hilfreich. Ansonsten besteht die Gefahr, dass unzureichend eingeführte und informierte Aufsichtsratsmitglieder wertvolle Zeit verlieren.